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Tätlichkeit gegenüber Kollegen I: Kein Arbeitsunfall des sich selbst verletzenden Angreifers
Datum: 08.12.2017
Kurzbeschreibung: Die Klärung betrieblicher Pflichten auch in einem ggf. intensiven oder hitzigen Disput kann zwar im betrieblichen Interesse liegen. Wer jedoch Kollegen tätlich angreift und sich dabei selbst verletzt, kann nicht den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung für sich beanspruchen, hat das Landessozialgericht in einem vor wenigen Tagen veröffentlichten Urteil entschieden.
Urteil vom 22.11.2017, L 1 U 1504/17
Im November 2015 kam es am Arbeitsplatz, ein Warenlager eines mittelständischen Betriebs, zu einer hitzigen Diskussion über die Arbeitsabläufe zwischen dem Kläger und einem Kollegen. Etwa eine halbe Stunde später eskalierte die Situation erneut. Es kam zu wechselseitigen Beschimpfungen und provozierenden Gesten. Der Kläger verließ seinen Arbeitsplatz, rannte mit gesenktem Kopf auf den Kollegen zu und stieß diesem absichtlich seinen Kopf mit großer Wucht in den Rumpf, worauf beide zu Bo-den gingen. Der Angreifer zog sich bei dem Kopfstoß und anschließendem Sturz ei-nen Halswirbelbruch zu; der Kollege eine Rippenprellung.
Der Kläger, der den Angriff ausgeführt hatte, wollte von der beklagten Berufsgenos-senschaft die Anerkennung eines Arbeitsunfalls erreichen. Die Berufsgenossenschaft lehnte dies ab.
Im Klageverfahren behauptete der Kläger zunächst, erst nachdem die Auseinander-setzung mit dem Kollegen bereits beendet gewesen sei, sei er über eine Palette ge-stürzt und habe sich dabei verletzt. Zuletzt erklärte er das Verlassen des Arbeitsplat-zes damit, er habe den Kollegen nur aufsuchen wollen, um den Inhalt eines nicht verstandenen Zurufs zu klären. Zeugenaussagen anderer Kollegen widerlegten je-doch diese Angaben. Trotzdem gab das Sozialgericht Karlsruhe in erster Instanz dem Kläger Recht und bejahte einen betrieblichen Zusammenhang zwischen der Auseinandersetzung und der Verletzung. Der Kläger habe sich im Wesentlichen we-gen betrieblicher Gründe von seinem Arbeitsplatz entfernt und so sei es zu dem Un-fallereignis gekommen. - 2 -
Die Richterinnen und Richter des Landessozialgerichts haben dies anders bewertet, der Berufsgenossenschaft Recht gegeben und das Urteil des Sozialgerichts aufge-hoben.
Die Verletzungen lassen sich nach ärztlicher Einschätzung nur durch den mit Wucht ausgeführten Kopfstoß erklären, weshalb der Vortrag des Klägers nicht glaubhaft ist. Indem der Kläger seinen Arbeitsplatz verlassen hat, um den Angriff auf den Kollegen auszuführen, hat er den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung verlas-sen. Zwar kann die Klärung eines Disputs bzw. das Austragen eines über betriebli-che Pflichten und betriebliches Verhalten bestehenden Konflikts durchaus auch im betrieblichen Interesse liegen. Hier ging es dem Kläger aber gar nicht mehr wesent-lich um die Klärung des ca. 30 Minuten zurückliegenden Konflikts um die Arbeitsab-läufe, sondern nur noch darum, dem Kollegen den Kopf in den Bauch zu rammen, um ihn so umzuwerfen. Ein solches Verhalten kann selbst dann, wenn im Warenla-ger ein „rauer Ton" herrschte und wechselseitige Beleidigungen zwischen dem Klä-ger und dem Kollegen immer wieder vorkamen, nicht mehr als betriebsdienlich ange-sehen werden. Eine körperliche Attacke vermag das kollegiale Verhältnis so zu stö-ren, dass eine künftige Zusammenarbeit nicht mehr möglich ist, außerdem ist mögli-che Folge solchen Handelns eine Arbeitsunfähigkeit des Opfers, die ebenfalls in keinster Weise im betrieblichen Interesse liegt.
Sozialgesetzbuch (SGB) VII – Gesetzliche Unfallversicherung
§ 8 Absatz 1 SGB VII:
Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeit-lich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Ge-sundheitsschaden oder zum Tod führen.
Dr. Steffen Luik
Richter am Landessozialgericht
- Pressesprecher -