Die 1957 geborene Beklagte beantragte im Februar 2009 bei der Klägerin, einem privatrechtlichen Versicherungsunternehmen, neben einer privaten Krankenversicherung auch den Abschluss eines Vertrags über eine private Pflegepflichtversicherung (PV) mit monatlicher Beitragszahlung für sich und ihre 1992 geborene Tochter mit Versicherungsbeginn März 2009. Die PV-Beiträge zahlte die Beklagte nur bis Oktober 2014, für November 2014 nur teilweise sowie von Dezember 2014 bis Januar 2018 gar nicht.
Im September 2018 widerrief die Beklagte unter Angabe der Versicherungsscheinnummer und beider versicherter Personen die „o.g. Krankenversicherung“ und machte Schadenersatz bezüglich entstandener und von der Klägerin nicht übernommener Krankheitskosten in Höhe von 11.000 Euro zzgl. Zinsen, Anwalts- und Gerichtskosten geltend. Zur Begründung gab sie an, das Vertragsdatum sei nicht korrekt. Verbraucherinformationen, AGB und Widerrufsbelehrung seien nicht übergeben worden. Auf dem nachträglich zugesandten Beratungsprotokoll finde sich eine gefälschte Unterschrift.
Auf Antrag der Klägerin vom Juli 2017 erließ das Amtsgericht einen Mahnbescheid über eine Gesamtforderung von rund 1.800 € (Beiträge zur PV für November 2014 bis Juni 2017 zzgl. Zinsen, Gerichts-, Rechtsanwalts- und Mahnkosten). Im anschließenden Klageverfahren verurteilte das Sozialgericht Heilbronn die Beklagte, an die Klägerin rund 1.800 € zzgl. Zinsen, Mahn- und Rechtsanwaltskosten in Höhe von ca. 200 € zu zahlen: Die Klägerin habe aus dem Pflegepflichtversicherungsvertrag Ansprüche auf Beitragszahlung in geltend gemachter Höhe. Der Vortrag der Beklagten hinsichtlich der gefälschten Unterschrift erscheine abwegig, zumal diese ihre Beiträge bis Oktober 2014 entrichtet habe. Zudem entspreche die Unterschrift auf dem Vertrag derjenigen der Beklagten in ihren Schriftsätzen. Eine wirksame Kündigung liege nicht vor. Zinsen, Mahn- und Rechtsanwaltskosten seien als Verzugsschaden geschuldet.
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Die Beklagte habe den privaten Pflegepflichtversicherungsvertrag nicht wirksam im September 2018 widerrufen. Zwar beginne die 2-wöchige Widerrufsfrist nach § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VVG erst zu dem Zeitpunkt, zu dem die dort genannten Unterlagen dem Versicherungsnehmer in Textform zugegangen sind. Der Wirksamkeit dieses Widerrufs stehe aber der fehlende Nachweis einer Anschlussversicherung entgegen. Die Regelung im Sozialgesetzbuch (hier § 23 Abs. 2 Satz 4 SGB XI), wonach bei Versicherungspflicht eine Kündigung des Vertrages erst wirksam wird, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist, sei auf den Widerruf einer PV analog anzuwenden. Mit dieser Regelung soll ein lückenloser Versicherungsschutz im Falle der Eigenkündigung gewährleistet werden. Die Bedeutung, die der Gesetzgeber der Begründung und Aufrechterhaltung eines solchen Versicherungsschutzes im Umfange der PV beimesse, werde dadurch unterstrichen, dass der schuldhafte Verstoß gegen die Verpflichtung zum Abschluss oder zur Aufrechterhaltung des privaten Pflegeversicherungsvertrages bußgeldbehaftet sei. Auf der anderen Seite schließe § 110 Abs. 3 SGB XI bei privaten Pflegepflichtversicherungen alle Rücktritts- und Kündigungsrechte der Versicherungsunternehmen aus, solange eine Pflicht zum Vertragsabschluss bestehe. Dabei habe der Gesetzgeber offenbar übersehen, dass das Ziel, einen versicherungslosen Zustand zu vermeiden, durch eine einschränkungslose Widerrufsmöglichkeit zunichte gemacht würde. Denn wäre der Widerruf nach § 8 VVG, insbesondere derjenige, der nach fehlerhafter oder fehlender Belehrung ggf. noch Jahre nach Vertragsschluss vorgenommen werden könnte, nicht an die weiteren Voraussetzungen des § 23 Abs. 2 Satz 4 SGB XI geknüpft, könnte sich der Versicherungspflichtige durch bloße Ausübung des Widerrufsrechts der Versicherungspflicht entziehen Das Erfordernis eines Nachweises nahtlosen Versicherungsschutzes sei daher auf den Widerruf eines Pflegepflichtversicherungsvertrages analog anzuwenden. Eine anderweitige Versicherung habe die Beklagte hier aber zu keinem Zeitpunkt nachgewiesen und auch nicht behauptet, einen anderen Pflegepflichtversicherungsvertrag abgeschlossen zu haben.
Hinweis zur Rechtslage:
Nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XI (11. Buch Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung) sind Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen oder im Rahmen von Versicherungsverträgen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 VVG genügen, versichert sind, vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Bei fortbestehender Versicherungspflicht nach Absatz 1 wird eine Kündigung des Vertrages jedoch erst wirksam, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer ohne Unterbrechung versichert ist (§ 23 Abs. 2 Satz 4 SGB XI).
Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) kann der Versicherungsnehmer seine Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen widerrufen. Die Widerrufsfrist beginnt nach Abs. 2 zu dem Zeitpunkt, zu dem die dort im Einzelnen genannten Unterlagen dem Versicherungsnehmer in Textform zugegangen sind. |