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Information Oberfinanzdirektion Karlsruhe

Merkblatt § 116 AO für Gerichte und Behörden

Merkblatt zur Mitteilungspflicht von Gerichten und Behörden an Finanzbehörden gemäß § 116 AO bei Vorliegen von Tatsachen, die auf eine Steuerstraftat schließen lassen

Bundesministerium der Finanzen IV A 4 – S 0275/21/10002 :001

  1. Grundsätzliches

    Gerichte und Behörden von Bund, Ländern und kommunalen Trägern der öffentlichen Verwaltung können über Informationen verfügen, die auf eine Steuerstraftat im Sinne von § 369 ff. AO, z. B. eine Steuerhinterziehung, -hehlerei oder einen Bannbruch, schließen lassen, von denen aber Finanzbehörden des Bundes und der Länder1 noch keine Kenntnis haben. Zur Sicherstellung der Strafverfolgung, aber auch zur gleichmäßigen Steuerfestsetzung enthält § 116 Absatz 1 Satz 1 AO eine Regelung, die Gerichte und andere Behörden zum initiativen Handeln verpflichtet: Tatsächliche Umstände, die Rückschlüsse auf eine Steuerstraftat zulassen, sind der Finanzbehörde mitzuteilen. Zur Mitteilung verpflichtet sind z. B. Gemeindebehörden, Ausländerbehörden, Träger der Sozialversicherung, Arbeitsagenturen, Gewerbeämter, Grundbuchämter, Verfassungsschutzämter, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin)2 sowie alle Gerichte sämtlicher Gerichtsbarkeiten.

    Beim Verdacht einer Steuerstraftat ermittelt die nach § 386 Absatz 1 Satz 1 bzw. Absatz 2 AO zuständige Finanzbehörde den Sachverhalt. Einer zeitnahen Mitteilung der Tatsachen kommt hohe Bedeutung zu, damit die Finanzbehörde frühzeitig entscheiden kann, ob ein Anfangsverdacht für eine Steuerstraftat vorliegt, um gegebenenfalls ein Ermittlungsverfahren gegen die betroffene Person einzuleiten und um z. B. frühzeitig das Erwirken eines Vermögensarrestes zur Sicherung der Wertersatzeinziehung zu ermöglichen.

    Mitteilungen nach § 116 Absatz 1 Satz 1 AO erfolgen durch Behörden, welche keine eigenen strafprozessualen Maßnahmen treffen, unter Verwendung des Vordrucks „010158 - Mitteilung nach § 116 der Abgabenordnung (AO)“ (vgl. Ziffer 6). Behörden, die eigene strafprozessuale Maßnahmen treffen können, verwenden den Vordruck in mitzuteilenden Fällen, in denen ein strafprozessualer Anfangsverdacht nicht vorliegt. Strafanzeigen bedürfen nicht der Verwendung des vorgenannten Vordrucks 010158.

  2. Mitteilungspflichtige Tatsachen

    Mitteilungspflichtige Tatsachen sind wahrgenommene Umstände aus der Gegenwart oder der Vergangenheit, die dem Beweis zugänglich sind und auf eine Steuerstraftat schließen lassen. Ein Verdacht einer Steuerstraftat, d. h. „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ im Sinne eines strafprozessualen Anfangsverdachts, muss nicht bestehen. Nachforschungen der mitteilenden Stellen, ob tatsächlich ein Anfangs-verdacht für eine Steuerstraftat vorliegen könnte, bedarf es nicht. Bloße Meinungsäußerungen, Wertur-teile, vage Vermutungen, Mutmaßungen, unbegründete Hypothesen oder unsubstantiierte Gerüchte reichen hingegen nicht.

    Von der Mitteilungspflicht erfasst sind nur solche Tatsachen, die in Ausübung des Dienstes erfahren wurden. Privat erlangte Kenntnisse begründen keine Mitteilungspflicht.

    Sobald Tatsachen auf eine Steuerstraftat schließen lassen, ist der konkrete Sachverhalt zu melden. Ist insbesondere bei Dauersachverhalten eine Unterrichtung unter diesen Gesichtspunkten erfolgt, ist der Mitteilungsverpflichtung Genüge getan und es bedarf keiner fortwährenden Unterrichtung, sofern keine neuen – bisher nicht gemeldeten – Tatsachen bekannt werden.

  3. Beispiele

    Nachfolgend werden Tatsachen aufgezählt, die Anhaltspunkte für eine Steuerstraftat darstellen können und deshalb im Regelfall mitzuteilen sind. Die Ausführungen sind nicht abschließend.

    • Anhaltspunkte, die, ggf. auch in ihrem Zusammenspiel, auf eine Steuerstraftat schließen lassen:

      • ungewöhnliche Bargeldgeschäfte
      • Schwerwiegende Buchführungsmängel, insbesondere auffälliges Fehlen von sonst allgemein üblichen Belegen
      • Schwerwiegende Verstöße gegen Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten
      • ungebuchte Wareneingänge und Warenausgänge
      • Vor- und Rückdatierung von Verträgen
      • starke Abweichungen infolge von Verprobungen, die nicht aufgeklärt werden können (z. B. Missverhältnis Wareneinkauf und Warenverkauf)
      • Abweichungen zwischen Warenproben
      • Hinweise auf verschwiegene oder irreführend bezeichnete Bankkonten (Konten auf fingiertem oder fremdem Namen)
      • konkrete Verdachtsmomente, dass Belege manipuliert/gefälscht wurden
      • Fortlaufend hohe Bareinzahlungen auf Konten
      • (anonyme) Anzeigen Dritter, welche steuerlich relevante Sachverhalte zum Inhalt haben
      • Transaktionen, die unter Nichtberücksichtigung steuerlicher Vorteile keinen eigenen Nutzen aufweisen (z. B. Zahlungen für Beratungsleistungen bzw. Zahlungen, denen offensichtlich kein Leistungsaustausch der Höhe oder der bezeichneten Leistung, Lieferung nach zugrunde liegt, Hinweise auf Scheingeschäfte)
      • Komplexe und undurchsichtige Transaktionen, die geeignet sind, den wirtschaftlich Berechtigten zu verschleiern (z. B. Zahlungen auf und Verfügungsberechtigungen für Konten Dritter, Einsatz von Strohleuten z. B. bei Grundstückserwerben oder sonstigen Rechtsgeschäften)
      • Fallgestaltungen, die unter Umständen eine Verbrauchsteuer- oder Zollschuld im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung auslösen und deshalb von der Mitteilungspflicht umfasst sind:

        • Schmuggel oder illegaler Handel mit einfuhrabgaben- und/oder verbrauchsteuerpflichtigen Waren
        • Ein-, Aus- oder Durchfuhr von Gegenständen, die Verboten oder Beschränkungen unterliegen
        • Handel mit Zigaretten oder anderen Tabakwaren ohne gültiges Steuerzeichen
        • Herstellung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren ohne Erlaubnis (z. B. Schwarzbrennen von Alkohol, Reinigung von vergälltem Alkohol, Herstellung von Kaffee in Privathaushalten zur Weitergabe an Dritte, Herstellung von Wasserpfeifentabak aus Rohtabak)
        • Heizölverdieselung (Verdacht der Energiesteuerhinterziehung)

    • Im Bereich der Strafgerichtsbarkeit weisen darüber hinaus in der Regel alle Sachverhalte eine steuerliche Relevanz auf, bei denen Straftaten gewerbsmäßig zur Erzielung fortlaufender Einkünfte begangen worden sind (z. B. Drogenhandel, Hehlerei, Betrug). Dies folgt daraus, dass es gem. § 40 AO für die Besteuerung unerheblich ist, ob ein Verhalten gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. Somit sind Einnahmen aus Straftaten jedweder Art steuerpflichtig. Solche Einnahmen werden nach allgemeiner Erfahrung aber nicht gegenüber den Finanzbehörden erklärt.

    • Im Bereich der Arbeits- und Zivilgerichtsbarkeit können insbesondere folgende Sachverhalte steuerliche Relevanz aufweisen und werden von der Mitteilungspflicht erfasst:

      • In einem Arbeitsgerichtsverfahren wird bekannt, dass Schwarzlöhne gezahlt wurden.
      • In einem Zivilprozess wird bekannt, dass die tatsächlich geleistete Zahlung für einen Grundstückskauf höher ist als der im notariellen Vertrag beurkundete Kaufpreis.
      • Ein Grundstücksverkauf erfolgt zu einem auffällig niedrigen Kaufpreis.
      • Bei sog. Ohne-Rechnung-Geschäften besteht der Verdacht, dass Betriebseinnahmen nicht versteuert werden.
      • Im Rahmen von Streitigkeiten wegen Zahlungsansprüchen oder Mängelbeseitigungen wird bekannt, dass der leistende Unternehmer sein Gewerbe nicht beim Gewerbeamt angemeldet hat.
      • In Nachlassstreitigkeiten werden gegenüber dem Steuerfiskus verborgene Vermögenswerte aufgedeckt (z. B. Depots im Ausland).
      • Im Rahmen von Erbauseinandersetzungen wird bekannt, dass es vom Erblasser vor dem Erbfall Schenkungen in erheblicher Höhe gab, die bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer zu berücksichtigen sind.
      • Bei Werklohnstreitigkeiten wird offenbar, dass Leistungen – nicht wie abgerechnet – in den beruflich genutzten oder in vermieteten Wohneinheiten, sondern in den Privaträumen durchgeführt worden sind.
      • Bei Unterhaltsstreitigkeiten bzw. Scheidungsverfahren wird bekannt, dass der Unterhaltsverpflichtete über mehr Vermögen/Einkommen verfügt, als er bislang angegeben hat (z. B. versteckte Auslandskonten, Schwarzeinnahmen, sonstiges verschleiertes Vermögen).

  4. Sonstige Mitteilungs- und Anzeigepflichten

    Nachfolgend werden beispielhaft sonstige Mitteilungs- und Anzeigepflichten, die neben § 116 AO bestehen, aufgezählt:

    • § 4 Absatz 5 Satz 1 Nr. 10 Satz 2 EStG

      Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden haben eine Mitteilungspflicht über Tatsachen betreffend die Zuwendung von Vorteilen, die den Tatbestand eines Strafgesetzes oder eines Gesetzes verwirklicht, das die Ahndung mit einer Geldbuße zulässt, insbesondere:

      • Wählerbestechung (§ 108b Abs. 1 StGB)
      • Bestechung von Mandatsträgern (§ 108e Abs. 2 StGB)
      • Sportwettbetrug (§ 265c Abs. 2 und 4 StGB)
      • Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben (§ 265d Abs. 2 und 4 StGB)
      • Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 Abs. 2 StGB)
      • Vorteilsgewährung (§ 333 StGB) und Bestechung (§ 334 StGB), ggf. in Verbindung mit § 335a StGB (Vorteilsgewährung und Bestechung ausländischer und internationaler Bediensteter)
        Diesen Taten kommt steuerlich eine besondere Bedeutung zu, da die Täter in diesen Fällen regelmäßig auch über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um die steuerlichen Schulden zu tilgen. Hinzu kommt, dass entsprechende Ausgaben nicht gewinnmindernd berücksichtigt werden dürfen.

    • Verordnung über Mitteilungen an die Finanzbehörden durch andere Behörden und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten (Mitteilungsverordnung)

      Die aufgrund § 93a AO erlassene Mitteilungsverordnung verpflichtet Behörden i. S. des § 6 Absatz 1 AO und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, unter den dort genannten Voraussetzungen bestimmte Mitteilungen an die Finanzbehörden ohne Ersuchen zu übersenden, zum Beispiel gewerberechtliche Erlaubnisse und Gestattungen.

    • §§ 32 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1, 28 Absatz 4 GwG; § 32 Absatz 2 Satz 1 GwG

      Im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags, insbesondere der Analyse und Weiterleitung geld-wäscherechtlicher Verdachtsmeldungen, übermittelt die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (FIU) gem. §§ 32 Absatz 3 Satz 2 Nr. 1, 28 Absatz 4 GwG von Amts wegen oder auf Ersuchen personenbezogene Daten an die zuständige inländische öffentliche Stelle, soweit dies u. a. für Besteuerungsverfahren erforderlich ist.

      Stellt die FIU im Rahmen ihrer operativen Analyse fest, dass ein Vermögensgegenstand mit einer sonstigen Straftat im Zusammenhang steht, hat sie ferner das Ergebnis ihrer Analyse sowie alle sachdienlichen Informationen gemäß § 32 Absatz 2 Satz 1 GwG unverzüglich an die zuständige Strafverfolgungsbehörde (bspw. Steuerfahndung) zu übermitteln.

    • § 32 Absatz 6 Satz 1 GwG

      Falls die Staatsanwaltschaft aufgrund eines von der FIU nach § 32 Absatz 2 GwG übermittelten Sachverhalts ein Strafverfahren eingeleitet hat, teilt sie den Sachverhalt zusammen mit den zugrundeliegenden Tatsachen der zuständigen Finanzbehörde mit, wenn eine Transaktion festgestellt wird, die für die Finanzverwaltung für die Einleitung oder Durchführung von Besteuerungs- und Steuerstrafverfahren Bedeutung haben könnte.

    • § 6 Absatz 1 und Absatz 4 Satz 1 Nr. 4 SchwarzArbG

      Gemäß § 6 Absatz 4 Satz 1 Nr. 4 SchwarzArbG haben die Zollbehörden die zuständige Finanz-behörde über Anhaltspunkte für Verstöße gegen die Steuergesetze zu unterrichten, die sich bei der Durchführung ihrer Aufgaben nach dem SchwarzArbG ergeben.

      Einzelheiten enthält die mit den Landesfinanzministerien getroffene Regelung über die Grundsätze der Zusammenarbeit zwischen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) und den Landesfinanzbehörden gemäß § 2 Absatz 2 Satz 3 SchwarzArbG (Zusammenarbeitsregelung Schwarzarbeitsbekämpfung). Die mitzuteilenden Sachverhalte sind in dem als Anlage zur Zusammenarbeitsregelung erstellten Typologienpapier über den Austausch von Informationen konkret (jedoch nicht abschließend) benannt.

      Weitere Informationen können mitgeteilt werden, wenn entsprechende Anhaltspunkte für Verstöße vorliegen. Dazu gehören auch Zufallsfunde, z. B. Hinweise auf nicht versteuerte Einnahmen (Konten im Ausland, hohe Bargeldsummen, Einzahlungen von Geld auf Nicht-Firmenkonten).

  5. Verschwiegenheitspflicht, Steuergeheimnis und Datenschutz

    Die Verpflichtung der Behörden oder sonstiger öffentlicher Stellen zur Verschwiegenheit gilt nach § 105 Absatz 1 AO nicht für ihre Auskunfts- und Vorlagepflicht gegenüber den Finanzbehörden. Ausgenommen sind u.a. gemäß § 116 Absatz 2 AO i. V. m. § 105 Absatz 2 AO die dem Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegenden Tatsachen.

    Die Mitteilungen unterliegen bei den Finanzbehörden dem Steuergeheimnis (§ 30 AO).

    Die Offenbarung oder Verwertung dem Steuergeheimnis unterliegender Daten durch die Finanzbehörden ist nur unter den Voraussetzungen des § 30 Absatz 4 und 5 AO zulässig. Daher ist eine Information des Mitteilenden über das aufgrund seiner Anzeige erlangte steuerliche „Mehrergebnis“ grundsätzlich nicht zulässig. Das gilt nicht für Mitteilungen an die BaFin nach § 8 Absatz 2 KWG (Steuerstrafverfahren gegen u. a. Geschäftsleiter und Inhaber bedeutender Beteiligungen von Instituten sowie bei dienstlich begangenen Delikten aller Bediensteten von beaufsichtigten Instituten). In diesen Fällen ist eine Offenbarung nach § 30 Absatz 4 Nummer 2 AO zulässig.

    Weitere Informationen zum Datenschutz sind auf den Internetseiten des BZSt und der Landesfinanzbehörden zu finden.

  6. Mitteilungsweg

    Die Mitteilungen nach § 116 Absatz 1 Satz 1 AO sind unter Verwendung des als Anlage beigefügten Vordruckmusters mit der Nummer „010158“ an das Bundeszentralamt für Steuern (per E-Mail an 116AO@bzst.bund.de) oder, sofern bekannt, an die zuständige Finanzbehörde (Finanzämter, Hauptzollämter) zu richten. Der Vordruck ist im Formular-Management-System (FMS) der Bundesfinanzverwaltung eingestellt.

    Mitteilungen an die Hauptzollämter sollen an die zuständigen Strafsachenstellen erfolgen, die über die Einbeziehung der Zollfahndungsämter entscheiden. Das jeweils zuständige Hauptzoll-amt kann mittels der „Dienststellensuche“ auf www.zoll.de bestimmt werden.

    Im Regelfall genügt es, zunächst entsprechende Ablichtungen erforderlicher Schriftstücke und Beweismittel aus der Akte zu übersenden. Eine Unterrichtung der Betroffenen sollte unterlas-sen werden, da sie den Ermittlungserfolg gefährden könnte.

    Eventuell bestehende Fragen können vor der Übersendung einer Mitteilung - auch telefonisch - mit der zuständigen Finanzbehörde erörtert werden.

    Informationen und Vordrucke sind auch unter www.bzst.de erhältlich.

    Stand: Juni 2022

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